Nachlass 'Josef Kreuter, Farben- und Stempelfabrikant, Frankfurter Str. 131, Gießen'

Feldpostbrief von russischer Front an Tochter Renate in Gießen

geschrieben am 1. August 1944 von Rolf Schnell

Im Felde, 1.8.44 22.00

Meine liebe Rena!
Dein sehr lieber Gruss hat mich
heute erreicht. Ich war und bin so froh!! Als ich die
ersten Sätze gelesen hatte, vergaß ich, dass es sich um
einen Brief handelte, - Du warst bei mir und sprachst
mit mir. Es waren schöne Augenblicke, Krieg, Soldaten,
Bunker, Russland - alles dies war vergessen; ich saß
wieder an Deinem Bett und unterhielt mich mit Dir.-
Hab' recht vielen und herzlichen Dank für Deinen lieben
Brief! Deinem Vater sage bitte vielen Dank für die Blei-
stiftminen, die ich gut gebrauchen kann.-
Ob Ru wohl ein wenig an mich denkt? schreibst Du.
Viel zu viel, - viel zu viel, als es eigentlich ein
'Baby' verdient, das allerdings im nächsten Jahr
keines mehr sein will! Meine Gedanken sind oft bei
Dir! Wenn ich abends unter klarem Sternenhimmel
noch ein wenig allein vor meinem Bunker sitze, aus
dem Radio klingt meine schöne Musike, -
dann bin ich mit meinen Gedanken meilenfern,
träume, und denke an die schönen Stunden, die
ich mit Dir verbracht habe, an das, was wir uns
gesagt haben und, - vielleicht noch viel mehr an
das, das wir uns nicht gesagt haben, aber
uns vielleicht einmal sagen werden!-

Aber, - ich will nicht soviel davon reden, alle Worte
mögen sie noch soviel bedeuten und vom Herzen
kommen, verlieren ihren Sinn, wenn sie niedergeschrie-
ben werden. - Du armes 'Baby' liegst also wieder im
Bett? Tust mir leid! Aber es ist besser jetzt, als
in meinem nächsten Urlaub.-
Wie es mir geht, habe ich vorhin an Deine 'Unter-
mieter' geschrieben. Ich bitte mir also die Wieder-
holung zu ersparen. Ich freue mich auf jeden
Fall sehr, dass Ihr bei dem Bomben am 20.7.
keinen Schaden genommen habt!!!-.
Bitte grüße Deine Eltern von mir!-

Dir also baldige Besserung, alles Gute u. Liebe!
und herzlichste Grüsse!

Dein Rolf

© Horst Decker