Nachlass 'Josef Kreuter, Farben- und Stempelfabrikant, Frankfurter Str. 131, Gießen'

2 Briefe und 1 Postkarte geschrieben im Juni 1943 innerhalb der Familie v.d. Leck-Eysen, Thema Bombadierungen Köln, Düsseldorf, Möhne- und Edertalsperre
(etwas verwirrend sind die Namensgleichheiten zwischen Eltern und Kinder)

geschrieben am 20. Juni 1943 von Emil v.d. Leck-Eysen an Mutter in Garding (Schleswig-Holstein), der Brief bezieht sich auf die Bombardierungen Kölns durch die Britische Royal Airforce Mai/Juni 1943

Köln, den 20. Juni 1943

Liebe Mutter.

Endlich nach Ablauf schwerer Krisentage komme ich dazu, Dir für Dei-
ne wiederholten Briefe zu danken. Wenn man noch nicht mal Gele-
genheit fand, nur kurze Pfingstgrüße zu senden, dann kannst Du Dir
denken, was hier los war. Ich weiß schon nicht mehr, an welchem Tage
der schwerste Angriff war, - jedenfalls Tag und Nacht feindl. Flie-
gerangriffe, so daß wir gegen Morgen mit den Kleidern uns ins Bett leg-
ten, um den nächsten Angriff abzuwarten. Alles um uns stand in Flam-
men. Durch die Detonation der Sprenggranaten und Luftminen glaubte
man, das Trommelfell und das Herz würde im Luftschutzkeller springen.
Inzwischen pendelte ich zwischen Wohnung und Geschäft um zu revidieren.
In der Wohnung und im Laden waren wieder Fensterscheiben trotz
Rolläden aus Holz zersplittert, Türen aus dem Rahmen gerissen. Dazu ka-
men nach Stunden die Detonationen der Blindgänger, die sich tief in das
Mauerwerk eingebohrt hatten, so daß sie vorher gar nicht zu erkennen wa-
ren. In 300m Entfernung flogen Türen und Fensterrahmen und Fußbö-
den und Ziegelsteine bis vor unsere Tür und überschütteten die Straßen. Jeglicher Bahn-
verkehr stockte, Fuhrwerke und Personen mußten wegen Absperrung große
Umwege machen. Der letzte Angriff war stärker wie der 31. Mai vorigen
Jahres, da die angewandte Munition und sonstige Kampfmittel weit
größere Wirkung haben. Du wirst vielleicht im Rundfunk gehört haben,
viele Kirchen, Hospitäler, Kinderkliniken und Wohnviertel liegen in
Trümmern oder sind ausgebrannt. Allerdings so schlimm wie in Elberfeld-
Barmen, wo überhaupt keine Flak steht, war es nicht. In Barmen lagen
die Menschen ahnungslos im Bett und als die Sirenen ertönten, waren die
schnellen Bomber auch schon da. Brennende Menschen liefen in den
Straßen umher, denn von dem ausgeschütteten Phosphor brennt selbst Ei-
sen, Frauen warfen ihre brennenden Kinder in die Wupper, aber Wasser
löscht nicht alleine, sondern nur in Verbindung mit Sand. In Barmen
steht kein Haus mehr. Wer sich retten konnte, war im Hemd meilenweit
fortgelaufen. Hier kamen am nächsten Morgen Damen in Herrenanzügen an,
die man ihnen in den nächstliegenden Orten geliehen hatte. Die erste
Hilfe galt nur den in den Trümmerhaufen liegenden und Klopfzeichen ge-
benden Menschen. Die Hilfe konnte nur von auswärts kommen, da die Bar-
mer SHD (Anm. Sicherheits- und Hilfsdienst im Luftschutz). selbst überrascht
und kopflos und teils versprengt war.
Inzwischen wurde Düsseldorf heimgesucht (Anm. Angriff Düsseldorf 11.Juni 1943 ?).
Der Hauptbahnhof und die Innen-
stadt, sowie einige Vororte liegen in Trümmer. Der Verkehr stockt und
der Bahnverkehr wird über Eller geleitet nach dem Ruhrgebiet. Es
sind auch viele Todesopfer zu beklagen, in dem Luftminen bis in die
Kellerräume gejagt wurden, aber die Flak hat gut geschossen. Nun waren
wir an der Reihe, wie zuerst geschildert.

Von den großen Überschwemmungen wirst Du gewiß auch gehört haben. Die
im Radio gemeldeten 378 Todesopfer stimmen nicht, denn das Kölner Pionier-
regiment, welches zur Hilfe abkommandiert war, hat allein über 7000 Tote aus
dem Wasser gefischt. Die eine Talsperre (Anm. Bombardierung der Edertal- und Möhnetalsperren am
17. Mai 1943 durch englische Lancaster Bomber) enthielt ca. 145 Millionen Kubik-
meter Wasser, das ist vergleichsweise ein Gefäß von Köln bis Hamburg von
40m Höhe und 26m Breite. Der Druck dieser Wassermassen ist so gewal-
tig, daß die dicksten Eichbäume entwurzelt und abgetrieben werden. Die Pio-
niere konnten nur versuchen die Wassermassen durch Kanäle und ausgeworfene
Gräben abzuleiten. Die Stadt Schwelm stand bis zur Kirchturmspitze im Was-
ser. Im Sauerland ist die Heimindustrie für Eisenwaren für Eisenwaren zu Hause und
werden die Maschinen teils durch Turbinen in Betrieb genommen. Schwimmen
die Menschen, die von der Strömung fortgetrieben wurden, landeten in den Tur-
binenanlagen und wurden von den Rädern zermalmt. Alles was ich schreibe,
weiß ich von Rettungsmannschaften und von Offizieren des Pionierbataill-
lons, sowie von hiesigen Leuten, die ihre Angehörigen suchen wollten und un-
verrichteter Dinge wieder kamen, da gegen solche Gewalten keine totale
Rettung oder Hilfe möglich ist. Damen waren im Geschäft, die Hände und Ge-
sucht verbunden hatten, weil vom Phosphor verbrannt und zerfressen.
An dem Herzeleid kann auch der Besuch vom Jüppchen - so wird Dr. Göb-
bels genannte, - auch nichts ändern. Das Volk versteht nichts mehr. Es
befindet sich in einer Angstpsychose und in einem Trauerzustande,
aus dem es erst später erwachen wird. Ich habe es schwer, abends und in
der Nacht die Gemüter im Keller zu beruhigen. Auf mein Wort hört
man noch. Im Falle einer Gefahr bin ich die Ruhe selbst, aber nachher
kommt die Reaktion. Vor drei Wochen hatte ich einen Nervenzusammenbruch,
so daß Trudi am Sonntag Mittag den Arzt holen mußte. Bin am folgenden
Montag im evgl. Krankenhaus vom Chefarzt gründlich untersucht worden.
Herz sehr schlecht, Lunge gut, Wasser frei von Zucker und Eiweiß und die
Blutentnahme keine Krebsverdächtigung. Da der Arzt weiß, daß ich solide
lebe und kein Wirtshausbesucher bin, hat (er) vollständige Verrichtung körperli-
cher Arbeit streng untersagt. Dabei hat das Arbeitsamt mir einen jungen
Mann herausgeholt, der im 5. Jahr bei mir war und lehnt jeden Ersatz
ab, dabei geht das Geschäft wie bisher. Im Haushalt haben wir durch
Vermittlung der Kreisfrauenschaftsführerin endlich ein Pflichtjahr-
mädchen erhalten, so daß die Kinder abwechselnd im Geschäft helfen kön-
nen. Wir müssen alle drei Wochen in Kur . Und fährt andere Woche Trudi
mit der Hedi vorab und ich mit der Trudi nach. Ich warte noch auf die
Genehmigung der Handelskammer. Das Geschäft total für einige Wochen zu
schließen ist verboten - aber ich muß doch auch Einkaufsreisen machen,
um für Ware zu sorgen. Ich bin nur froh, daß meine Lieferanten nicht im
Überschwemmungsgebiet liegen - 35 Dörfer bzw. Ortschaften stehen unter
Wasser. Werkzeuge, Kleineisenwaren sind überhaupt nicht zu haben. Die
Schloß- und Schlüsselindustrie ist diesmal verschont geblieben.
Von den Geschehnissen der Kleinstadt habe ich Kenntnis genommen und ist
jeder Fall traurig und unabänderlich. Wenn uns der bevorstehende große
Schlag nicht gelingt, dann haben wir den Krieg verloren. Wir wollen
aber hoffen, daß er uns gelingt, denn hier im Westen liegen bereits
größere japanische Verbände (Flieger) und vermute ich, meine rein persön-
liche Meinung, daß wir mit einigen tausend Flugzeugen nach England gehen,
dort Küstenbefestigungen besetzen werden, um eine Landung unserer Trans-
port- und Marine-Flotte zu sichern, denn im Osten scheint der Ostwall
in der Vollendung zu stehen, genau wie in Italien, so daß von diesen
Grenzen ein feindlicher Durchbruch gesichert erscheint. Etwas muss und
wird geschehen, denn die Initiative müssen wir den Feinden wieder abneh-
men, denn mit einem europäischen Stellungskampf haben und können wir nicht
gewinnen, wenn auch die Verluste auf der Gegenseite bedeutend größer sind.
Nun muß ich schließen und hoffe ich Dir bald etwas Besseres berichten zu
können. Unsere Fahrt ist nach Oberbayern geplant, da wir Höhenluft haben
müssen.
Für heute herzliche Grüße von uns allen
Dein Sohn Emil

(Anm.: der 'große' Angriff auf Köln erfolgte am 28. Juni 1943, 8 Tage nach dem hier wiedergegebenem Brief)

Postkarte geschrieben am 30. Juni 1943 aus Köln von Emil v.d. Leck-Eysen an Mutter in Garding (Schleswig-Holstein), die Karte bezieht sich auf die vollständige Zerstörung Kölns durch die Britische Royal Airforce am 28. Juni 1943

Liebe Mutter !
Montag morgen ist
Trude und Hedi nach
Oberstdorf gefahren.
Abends Großangriff!
Wohnhaus Dach abge-
brannt, habe sonst
gerettet. Geschäfts-
front zertrümmert.
Bis Dienstag morgen
1/2 10 h gelöscht und dann
vor Ersch&öpfung zu
Bett.

Sämtl. Bahnhöfe, Hauptpost, Telephon, Gas
Wasser, Elektrizität sehr zertrümmert. Geschäfte
geschlossen. Sind in Bonn um Brot zu kau-
fen und zum Mittagessen, da alle Hotels
am Erdboden liegen! Grauenhaft!
Ich bin froh, daß ich m.d. Trude alleine
bin. Solche Nacht haben wir noch nicht
erlebt.Verkehr, Post und Telegraph nichts.
In Eile Dein Sohn Emil.
Ausführlickeit später.
Bonn, d. 30.6.43

Viele herzliche Grüße Deine Enkelin Trudi.

Brief geschrieben am 4. Juli 1943 aus Oberstdorf von Trudi v.d. Leck-Eysen und Tochter Hedi an Mutter/Großmutter in Garding (Schleswig-Holstein), der Brief bezieht sich auf die Bombardierungen Kölns durch die Britische Royal Airforce 28. Juni 1943

Oberstdorf 4.7.43
Liebe Mutter!
Vorigen Montag nachts um 12 Uhr
sind wir (Hedi) hier gelandet. Also in der
Schreckensnacht, welche Köln heim-
gesucht hat. Mittwochs erhielt ich
von Bonn a. Rhein ein dringendes
Telegramm, wo Emil folgendes
schreibt. "Trude und ich wohlauf-
Brief folgt. Emil' und jetzt warte ich
sehnsüchtig auf Post. Ich kann
froh sein, überhaupt zu wissen,
daß beide noch leben. Hedi ist ja
mit mir hier, Trudi sollte später
mit Emil nach hier fahren.
Gestern war ich auf dem Rathaus
hier, um näheres zu erfahren. Es
wurde mir der Bescheid, daß man
Köln von keiner Seite erreichen kann,
da Post u. Fernsprechämter zerstört
sind. Die Eisenbahnbrücke ist auch
getroffen, so daß die Züge umgelei-
tet werden. Hoffentlich muß ich
nicht hören, daß alles verloren ist
und wir heimatlos geworden sind,
ich kann ja nur abwarten, ich weiß
ja noch nicht wohin.
Man kann sich hier schon erholen,
so friedlich und schön ist es hier,
meine Gedanken sind aber immer daheim.
Ich war mal wieder ganz herunter
gekommen und brauche so notwendig
Ruhe. Emil natürlich auch, und nun
dieses Elend. Nun senden wir Dir recht
herzliche Grüße und hoffen, daß Du
gesund bist
Deine Schwiegertochter
Trudi sowie Enkelin Hedi.

Flugblatt der Royal Airforce nach Bombardierung Kölns in der Nacht vom 30. zum 31. Mai 1942
Rückseite des obigen Flugblatts der Royal Airforce

© Horst Decker