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Wörtliche Wiedergabe der Kriegsandacht von Pfarrer A. Scriba, Eichelsdorf in der Wetterau (heute Nidda-Eichelsdorf)
Dennoch bleibe ich stets an Dir!

Gedächtnisrede für die beiden Gefallenen
Adolf Suppes und Otto Dietz;
beide aus Eichelsdorf;
gehalten am 25. März 1917 in der Kirche zu Eichelsdorf

Psalm 73,23-24:
Dennoch bleibe ich stets an Dir, denn Du hältst mich
bei meiner rechten Hand. Du leitest mich nach Deinem Rat
und nimmst mich endlich mit Ehren an.

        Wenn einer aus unserer Gemeinde nach Gottes Rat aus unserer Mitte scheidet und in heimatlicher Erde bestattet wird, pflegen wir an seinem Grabe uns zu versammeln, um in ernster Feier noch einmal zu gedenken, uns vor Augen zu halten, was er denn uns gewesen ist und was wir an ihm verloren haben, und in unserer Trauer Ausschau zu halten nach dem rechten, dem ewigen Trost. Wie gar manchesmal im Jahre ziehen wir so in ernstem Zuge hinter der irdischen Hülle eines Gemeindemitglieds zum Gottesacker, so noch angesichts des Todes Zeugnis abzulegen von den Banden der Gemeinschaft, die die Glieder einer Dorfgemeinde umschlingt. Dieser letzte Liebesdienst ist uns bei denen versagt, die draußen im fernen Land als Opfer dieses Krieges ihr Leben lassen und in fremder Erde gebettet sind. Drum ist's eine schöne Sitte, daß auch da die Heimatgemeinde ihrer Glieder gedenkt und zu ihrem ehrenden und liebenden Gedächtnis in schlichter erster Feier sich zusammenfindet.
        So haben wir uns heute wieder nach längerer Pause von 16 Wochen in unserer Heimatkirche versammelt, zu Ehren zweier junger Gemeindemitglieder, die für die ihnen teuer gewesene Heimat gekämpft und geblutet haben. Damals lag freilich der eine von ihnen schon unter Frankreichs Erde an der Somme, aber wir wußten's noch nicht bestimmt. Er galt uns als vermißt und wenn wir auch nicht viel Hoffnung hatten, eine kleine Hoffnung blieb uns noch, daß er verwundet in Feindeshand gefallen sei und noch lebe; inzwischen aber wurden dem schwergeprüften Vater seine Sachen, die er in seinem Waffenrock bei sich trug, zugeschickt, die ein Sanitätssoldat der Kompagnie übergeben hatte. Wohl ist auch jetzt noch keine ausführliche Nachricht da, wo und wie sein Leichnam gefunden worden ist. Jener Sanitäter fiel kurz darauf selbst, sodaß wir wohl stets darüber im Ungewissen bleiben werden. Aber die von der Kompagnie gesandten Mitteilungen schließen jeden Zweifel aus. Er ist - an jenem 29. September in heißer Somme-Schlacht in vorderster Linie am Arm verwundet, auf dem Rückweg zur Verbandsstelle gefallen und später dort gefunden worden.

        Kurz vor Jahresschluß, am 23. Dezember, fiel im fernen Osten, auf dem Boden des treulosen Rumänien, der andere, der von Ausbruch des Krieges an für das Vaterland kämpfte, zweimal verwundet wurde und wie sein Kamerad auf vielen Kriegsschauplätzen gekämpft hat. Sie alle beide tüchtige, tapfere Soldaten, treue Söhne und Brüder, geliebt von den ihren die Hoffnung und die Stütze ihres Alters.
        Aber ganz besonders in einer Hinsicht liegen beide Fälle gleich. Nicht die ersten Opfer sind es, die dieser unheilvolle Krieg von den beiden trauernden Familien fordert. Sie alle beide haben schon einen geliebten Sohn als Opfer darbringen müssen auf dem Altar des Vaterlandes. Wie ist euch dieses erste Opfer schon so schwer geworden! Wie habt ihr gebetet, daß Gott euch eure anderen Söhne heil und gesund wieder zuführe nach des Krieges siegreichem Ende! Wieviel Hoffnung habt ihr auf sie gesetzt, daß sie mit ihrer Hände Arbeit die Tage eures Alters erleichtern werden! Gottes Rat hat es anders mit ihnen beschlossen gehabt. Er hat sie euch genommen. Ihr versteht nicht seine Gedanken und seine Wege, die uns Menschen ja so oft unerforschlich sind. Kommen euch da nicht Zweifel an Gottes Liebe, an Gottes Gerechtigkeit, ja überhaupt an Gottes Dasein? Raunt euch nicht der Versucher in's Ohr: Es gibt keinen Gott, nur das finstere unerbittliche Schicksal waltet über uns. Kommt da nicht die gleiche Versuchung über euch wie einst über Hiob, der an den Trümmern seiner Habe, am Grabe seines irdischen Glücks stand und zu dem sein Weib sprach: "Hälst Du noch fest an Deiner Frömmigkeit? Gib Gott den Abschied!"
        Wenn solche Gedanken euch kommen. ihr tiefgebeugten Angehörigen, in eurem doppelten Weh, schaut auf zu dem Manne der Schmerzen, unseren Herrn und Heiland, dessen Leiden in dieser Passionszeit wieder lebendig uns vor Augen steht. Was brach über ihn alles herein in jenen Leidenstagen zu Jerusalem, von jenem Auenblick, da einer seiner Jünger ihn verriet bis zu dem Augenblick, da er am Kreuz sein Haupt im Tode neigte! Und trotzdem galt von ihm das herrliche Gotteswort aus dem 73. Psalm: Dennoch bleibe ich stets bei Dir, denn Du hältst mich an meiner rechten Hand. Dieses heilige, tapferer und siegreiche dennoch seines Glaubens war sein Halt und sein Trost, das machte ihn stark, Leiden und Tod zu überwinden.

        So sei das Gotteswort auch der beste Trost für euch, ihr trauernden Eltern, Geschwister und Angehörige, die ihr so große Liebe zu eurem Sohn gehabt habt und die ihr beide als die ersten in unserer Gemeinde ein zweites großes Opfer für das Vaterland habt bringen müssen. Ein starker Halt soll euch das Gotteswort in eurem Schmerze sein. Seid dessen getrost, eure Söhne und Brüder haben ihren Lauf vollendet, der heilige Gott hat sie ihr Ziel erreichen lassen. Je mehr ihr im Glauben wachset, um so mehr sollt ihr auch in diesem so schweren Leid kein finsteres Schicksal sehen, sondern die Führung eures treuen Gottes erkennen: Du leitest mich nach Deinem Rat. Wie eure Söhne im heiligen Tod für ihr geliebtes Vaterland ihr Ziel erreicht haben, so geht auch in Treue und Glauben euren Weg hier in der Heimat, bis auch euch und uns einmal die Stunde kommt, da wir es im seligen Schauen der Ewigkeit bekommen dürfen: Du nimmst mich endlich mit Ehren an.
        Aber unser Texteswort gilt uns allen, unserem ganzen Volk: Nur durch tapferes Aushalten in stiller und fester Treue, durch festes, starkes Gottvertrauen, das uns Kraft gibt zu allen Opfern, allen Leiden und Entbehrungen, zu aller Arbeit für das Vaterland, kann unser Volk das Ziel erreichen, das ihm in diesem furchtbaren Krieg gesteckt ist. So wie unser frommer Kaiser sich zu diesem Dennoch des Christenglaubens bekennt als zur Quelle aller seiner Kraft, so erbitten wir es auch für uns alle. Dann werden die Opfer dieses Krieges, auch die Opfer, die wir heute beklagen, nicht umsonst gebracht sein, sondern ein neues Volk wird etstehen aus den Leiden dieses Krieges, wenn wir selber fest in der Treue stehen und alle zur Quelle solcher Treue kommen, dem festen starken Gottvertrauen, das aus den Worten des Psamisten zu uns spricht: Dennoch bleibe ich stets an Dir, denn Du hältst mich bei meiner rechten Hand. Du leitest mich nach Deinem Rat und nimmst mich endlich mit Ehren an.
        In Nacheiferung der Treue zum Vaterland, zur Heimat bleibt auch das Gedächtnis unserer Gefallenen, die ihre Treue mit dem Blute bezahlt haben, unter uns im Segen. Zum äußeren Zeichen unserer Liebe und Dankbarkeit widmen wir ihnen einen Kranz der heimatlichen Eiche.
August Scriba

© Horst Decker



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