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Brief von Tochter an Vater in Haftzelle im Landgericht Wien

Anschrift: Herrn Dr. Josef Kxxxxxx, Wien VIII, Landgericht I, Zelle 189
wahrscheinlich steht die Haft im Zusammenhang mit dem Entnazifizierungsverfahren.



                      Wien, am 24.1.46

    Lieber Papi!
            Heute wird mein Brieflein nur
kurz ausfallen, weil meine Finger gar so
kalt sind. Ich glaube, ich werde im Februar
in den Semesterferien aufs Land fahren
müssen, weil es hier nicht mehr lange
auszuhalten sein wird. Ich liege,
wenn ich nicht weggehen muß, im
Bett, bis übers Nasenzipferl zugedeckt.
Aber das ist nicht sehr angenehm!
    Von den verschiedenen Vorträgen
im theateres. Seminar gefällt mir
der vom Oberregisseur vom Burgtheater
am besten. Wenn Du frei bist, mußt
Du einmal mitkommen, ich bin davon
überzeugt, daß es auch Dir sehr gut
gefallen wird.
    Sehr schön wäre es, wenn ich
auch Vorlesungen über Kunstgeschichte

belegen könnte. Aber alles auf einmal
daß geht nicht.
    Meine Lateinprüfung soll schon
vor den Sommerferien stattfinden, das
allerdings wäre etwas sehr bald. Heut
hat mir schon geträumt, daß ich durch-
gefallen bin. Es fängt ja gut an!
    Lieber Papi, nächstens schreibe ich
Dir wieder mehr.

    Bis dahin viele, viele liebe Grüße

                Irmgard
Natürlich auch von Muti Grüße!

© Horst Decker




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